
Der lineare Zukunftsfehler und Österreichs Startup-Szene
Schon mal vom linearen Zukunftsfehler gehört? Unser Gehirn liebt es, aus der Vergangenheit direkt auf die Zukunft zu schließen. Das ist bequem – und erstaunlicherweise hat das auch immer wieder funktioniert. Gut? Das ist die Frage, denn wirklich kreatives, innovatives, „out-of-the-box“-Denken kommt dadurch ja wohl nicht zustande.
In unserer komplexen, disruptiven VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) reicht lineares Denken nicht (mehr) aus. Die geradlinigen Megatrends, die lange Zeit Wandel erklärten, greifen zu kurz bzw. existieren sie nicht mehr.
Gesellschaftliche Entwicklungen verlaufen heute dynamisch, widersprüchlich, disruptiv und oft unvorhersehbar. Zukunft entsteht nicht aus „immer mehr“ vom Selben, sondern aus dem Zusammenspiel von Trends und Gegentrends. Wie ein Pendel, das in beide Richtungen schwingt – bis zum Extrem – kurz zur Ruhe kommt, bevor sich aus dieser Stille eine Gegenbewegung formiert. Wer eine Makroperspektive einnimmt und mit einer wertungsfreien, beobachtenden Haltung in die Stille geht, kann aus diesem Feld an unbegrenzten Möglichkeiten, die sich offenbaren, schöpfen – und Zukunft bewusst gestalten.
Schlüsselkompetenz: Ambiguitätstoleranz
Ambiguitätstoleranz eröffnet Spielraum – psychologisch wie kognitiv. Sie erlaubt, Ungewissheit nicht als Bedrohung, sondern als natürlichen Bestandteil komplexer Systeme zu begreifen. Und sie führt zu mehr Gelassenheit und psychologischer Flexibilität – der Fähigkeit, zwischen Gegensätzen zu pendeln, Spannungen kreativ zu nutzen und langfristig zu denken. Ambiguitätstoleranz bedeutet, mit widersprüchlichen Informationen leben zu können, ohne vorschnell in einfache Bewertungen zu verfallen. Menschen mit hoher Ambiguitätstoleranz halten inne, lassen Zwischentöne zu, ertragen offene Fragen und formulieren diese, treffen überlegte Entscheidungen und schneiden besser bei kreativen Problemlösungen ab.
Doch damit aus Ideen echte Erfolgsgeschichten werden, braucht es nicht nur Innovationsgeist – sondern auch Kapital. Und zwar: zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.
Kreatives Potenzial und Kapital in Österreich
Der kürzlich erschienene Austrian Investing Report 2024, herausgegeben von invest.austria, liefert eine fundierte Analyse des heimischen Privatkapitalmarkts. Die zentralen Fragen: Wer investiert in Österreichs Zukunft? Welche Strategien verfolgen KapitalgeberInnen? Welchen konkreten Beitrag leisten sie zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes?
Der Report lädt dazu ein, genauer hinzuschauen: In den letzten zwei Jahren hat sich trotz multipler Krisen – Krieg, Inflation, Zinswende, regulatorische Belastungen – vieles bewegt. Die Investitionsbereitschaft ist da. 165 KapitalgeberInnen – von Business Angels über Family Offices bis hin zu institutionellen InvestorInnen – planen rund 225 Millionen Euro an Investments für 2025. Ein beachtlicher Teil davon fließt direkt in österreichische Startups, Scale-ups und KMUs. Diese Zahlen stehen nicht nur für Kapital, sondern für Perspektiven: Laut Austrian Startup Monitor 2024 planen 79,4% der heimischen Startups Neueinstellungen im kommenden Jahr. Das geschätzte Beschäftigungspotenzial liegt bei bis zu 206.000 neuen Arbeitsplätzen.
InvestorenInnen bringen Wachstum, GründerInnen, Innovation
Startups und wachstumsorientierte Unternehmen sind mehr als nur wirtschaftliche Hoffnungsträger – sie sind Treiber der Erneuerung. Sie bringen Innovation in den Markt, schaffen qualifizierte Arbeitsplätze, (helfen dabei, unser drohendes Pensionsdebakel zu entspannen) und beschleunigen die Transformation unseres Wirtschaftsstandorts. Österreichs InvestorInnen sind engagiert, resilient und zukunftsorientiert. Sie investieren, schaffen neue Beteiligungsmodelle, unterstützen GründerInnen auch operativ – und leisten damit einen aktiven Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität und Innovationskraft in unserem Land. Die Brücken, die Kapital und Innovation verbinden, stehen bereit. Jetzt ist es an uns, sie zu gehen – durch verantwortungsvolles Handeln und Investieren.
Um den Bogen von der Einleitung zum Ende hin zu spannen, eignet sich dieses Zitat von Zukunftsforscher Matthias Horx besonders gut: „Die Zukunft gehört denen, die Ambiguität nicht nur tragen, sondern gestalten können.“ Wie wahr! Ambiguität ist eine Einladung, die Welt in ihren Zusammenhängen zu sehen. Paradoxien, Strukturbrüche, Krisen nicht als Störung, sondern als Treiber zu verstehen – und mit Staunen, Klarheit und Handlungsfähigkeit in die Zukunft zu blicken. Unsere Krisen bringen uns an Grenzen – und gleichzeitig öffnen sie uns ein Feld unendlicher kreativer Möglichkeiten. Wie schön ist das denn?
Originalbeitrag:
Gastkommentar Dr. Susanne Lederer-Pabst in Börse Social Magazine #102_Ausgabe 06/2025.